Instanz:
Obergericht
Abteilung:
I. Kammer
Rechtsgebiet:
Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:
28.07.2003
Fallnummer:
11 03 69
LGVE:
2003 I Nr. 27
Leitsatz:
Art. 16 Ziff. 5 LugÜ. Das Befehlsverfahren gemäss § 226 ZPO ist kein Zwangsvollstreckungsverfahren im Sinne von Art. 16 Ziff. 5 LugÜ. Da somit kein zwingender Gerichtsstand im Sinne dieser Bestimmung gegeben ist, sind allfällige Gerichtsstandsvereinbarungen zu beachten.
Rechtskraft:
Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Entscheid:
Art. 16 Ziff. 5 LugÜ. Das Befehlsverfahren gemäss § 226 ZPO ist kein Zwangsvollstreckungsverfahren im Sinne von Art. 16 Ziff. 5 LugÜ. Da somit kein zwingender Gerichtsstand im Sinne dieser Bestimmung gegeben ist, sind allfällige Gerichtsstandsvereinbarungen zu beachten.
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1.- Die Klägerin beantragte mit Eingabe vom 21. Januar 2003, dem Beklagten sei zu befehlen, ihr die gemäss Ziff. 13 des Darlehensvertrages vom 21. März 1997 zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche aus der Geschäftsverbindung des Darlehensge-bers oder eines die Geschäftsverbindung fortsetzenden Rechtsnachfolgers bezeichneten Sachen (PW: Marke Bentley, Jahrgang 1956/60, Continentale; 1 Bild: Picasso, Gouache, 1943) gestützt auf Ziffer 17 des erwähnten Darlehensvertrages unverzüglich herauszugeben. Überdies sei der Beklagte zu verhalten, ihr Auskunft über seinen Wohnsitz zu erteilen. Der anbegehrte Befehl sei unter Androhung der Bestrafung wegen Ungehorsams gemäss Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft. |
2.- Mit Entscheid vom 29. April 2003 trat der Amtsgerichtspräsident auf das Gesuch mangels örtlicher Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht ein. Die Gerichtskosten überband er der Klägerin und verpflichtete diese, dem Beklagten eine Parteientschädigung zu bezahlen. Der Amtsgerichtspräsident kam zum Schluss, dass die von den Parteien in Ziffer 20 des Darlehensvertrages vom 21. März 1997 getroffene Gerichtsstandsvereinbarung vor Art. 17 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft. |
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3.- Gegen diesen Entscheid erhob die Klägerin am 12. Mai 2003 fristgerecht Rekurs. Sie verlangte, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, auf das Gesuch sei einzutreten und das Befehlsgesuch sei gutzuheissen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Las-ten des Beklagten. Der Beklagte liess sich zum Rekurs nicht vernehmen.
4.- Die Klägerin macht in ihrem Rekurs geltend, Art. 17 Abs. 3
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4.1. Weil die Klägerin ihren Wohnsitz in London und der Beklagte seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, liegt ein Sachverhalt mit Auslandberührung vor, weshalb hinsichtlich der Zuständigkeit der vorliegenden Streitsache unbestritten das Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (LugÜ) zur Anwendung kommt. Gemäss den vorinstanzlichen Akten haben der verstorbene W. sowie der Beklagte am 21. März 1997 ei-nen Darlehensvertrag abgeschlossen, in welchem unter Ziff. 20 Luzern als ausschliesslicher Gerichtsstand vereinbart wurde. Streitig und zu entscheiden ist, ob diese Gerichtsstandsver-einbarung durch den zwingenden Gerichtsstand von Art. 16 Ziff. 5 LugÜ verdrängt wird.
4.2. Nach Art. 16 Ziff. 5 LugÜ sind für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Ho-heitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz ausschliesslich zuständig. Art 16 Ziff. 5 LugÜ umfasst Ver-fahren, die sich aus der Inanspruchnahme von Zwangsmitteln, insbesondere bei der Her-ausgabe oder Pfändung von beweglichen oder unbeweglichen Sachen im Hinblick auf die Vollstreckung von Entscheidungen oder Urkunden ergeben, die also einen unmittelbaren Bezug zur Zwangsvollstreckung aufweisen (Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel, Kurzkomm., Wien 1997, N 38 zu Art. 16
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Da es sich bei den ausschliesslichen Zuständigkeitsvorschriften von Art. 16
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Auszugehen ist vom Wortlaut von Art. 16 Ziff. 5 LugÜ. Danach ist ausschliessliche Zu-ständigkeit für Verfahren gegeben, welche "die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen" zum Gegenstand haben. Diese Bestimmung setzt somit voraus, dass eine bereits ergangene gerichtliche Entscheidung Grundlage des Vollstreckungsverfahrens bildet (Markus, a.a.O., S. 326 f.; Schwander, a.a.O., S. 92). Eine solche vorausgegangene Entscheidung liegt aber im Befehlsverfahren naturgemäss gerade nicht vor. In grammatikalischer Hinsicht kann es deshalb nicht als Vollstreckungssache qualifiziert werden.
Nach dem Gesagten knüpft der zweite Teil des LugÜ in systematischer Hinsicht an der Frage an, ob ein Verfahren zur Herstellung eines Vollstreckungstitels (Erkenntnisverfahren resp. Titelproduktionsverfahren; Art. 5
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Im Lichte dieser Ausführungen und einer funktionalen Betrachtungsweise stellt das Befehlsverfahren kein Titelvollstreckungsverfahren, sondern ein Titelproduktionsverfahren dar. Zwar besteht im Vergleich zu einem ordentlichen Erkenntnisverfahren eine Beschrän-kung der zulässigen Beweismittel (§ 234 Abs. 1 ZPO). Indes liegt auch dem Befehlsverfah-ren ein kontradiktorisches Verfahren zugrunde, in dem sämtliche materiellrechtlichen Ein-wendungen erhoben werden können. Ferner kann die unterlegene Partei das Ergebnis auf dem ordentlichen Prozessweg angreifen (§ 238 lit. b ZPO). Entsprechend geht es beim Be-fehlsverfahren - auch wenn die beklagte Partei ihre Einwendungen bloss glaubhaft zu ma-chen hat (vgl. Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, Kriens 1994, N 3 zu § 226 ZPO) - um eine inhaltliche Anspruchskontrolle (vgl. Kropholler, a.a.O., N 62 zu Art. 16 EuG-VÜ/LugÜ). So räumt auch Max. XII Nr. 347 ein, das Befehlsverfahren werde eingeleitet, um einen privatrechtlichen Anspruch in einem raschen Verfahren beurteilen (und vorläufig voll-strecken) zu lassen (vgl. Studer/Rüegg/Eiholzer, a.a.O., N 1 zu § 226 ZPO). Vgl. im Übrigen auch Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Aufl., Bern 2001, S. 345 N 175, wonach das Befehlsverfahren dazu dient, bei liquiden Verhältnissen schnell zu einem Sach-urteil zu gelangen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für das Befehlsverfahren der Gerichtsstand am Ort der Vollstreckung gemäss Art. 16 Ziff. 5 LugÜ keine Geltung beansprucht, und zwar aus Gründen der Notwendigkeit einer restriktiven Auslegung, des Wortlautes sowie der funk-tionalen Betrachtungsweise bezüglich Sinn und Zweck dieser Gesetzesbestimmung.
4.3. Fällt das Befehlsverfahren nicht unter Art. 16 Ziff. 5 LugÜ, stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit bzw. Gültigkeit der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung. Eine Gerichts-standsvereinbarung ist nach Art. 17 Abs. 1
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4.4. Nach dem Gesagten verstösst die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien nicht gegen das LugÜ, sondern sie führt gegenteils zu einer ausschliesslichen Zuständigkeit des prorogierten Gerichts. Der Rekurs ist demnach gutzuheissen, der angefochtene Entscheid vom 29. April 2003 aufzuheben und die Streitsache zur Entscheidung in der Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
I. Kammer, 28. Juli 2003 (11 03 69)